Borderline und Trennung: Das Ende einer Borderline-Beziehung

Das Ende einer Borderline-Beziehung ist mit einem gewöhnlichen Scheitern einer Liebesbeziehung nicht zu vergleichen. Borderline und Trennung bedeutet immer auch ungeahnter Schmerz, wie man ihn noch nie zuvor erlebt hat. Durch die symbiotische Verschmelzung entstand eine viel tiefere Bindung. Der Borderliner wurde für den Partner als Mittelpunkt im Leben empfunden. Je intensiver und inniger diese Verbindung wahrgenommen wurde, umso mehr verlor sich der Partner in der Beziehung.

Borderline - Beziehung - Trennung
Borderline – Beziehung – Trennung

Für gewöhnlich wird die Trennung durch den Borderliner, als plötzlich und vollkommen unerwartet wahrgenommen. Doch ist dieser plötzlichen Trennung einiger Streit und Abwehrverhalten des Borderliners vorausgegangen, das man als Partner durchaus hätte wahrnehmen können. Warum einen die Trennung trotzdem unvorbereitet trifft kann mehrere Gründe haben. Die Konflikte, die entstehen, haben oft so unbedeutend scheinende Auslöser, dass Angehörige nicht verstehen, warum man sich überhaupt über so lächerliche Lappalien streiten kann. Der Streit hat jedoch für den Borderliner wenig mit der Sache zu tun, über die gestritten wird. Es spiegelt vielmehr die Zerrissenheit wieder, die in ihm vor sich geht. Das unterschätzen die Partner, da sie es nicht erkennen können was wirklich hinter dem Konflikt steht. Auf den Streit folgt häufig eine sehr innige und tiefe Versöhnung, die dafür sorgt, dass der Angehörige den Eindruck gewinnt, alles sei wieder gut. Im Borderliner tobt der Konflikt jedoch unterschwellig weiter, da er nichts mit der Ursache zu tun hatte über die gestritten wurde, sondern aus der eigenen Zerrissenheit des Borderliners herrührt.

Ursache für die beschriebene Zerrissenheit ist vermutlich die Borderline-typische Nähe-Distanz Problematik. Einerseits wünscht sich der Betroffene innige Nähe, andererseits löst diese Nähe Panik aus, die in ihm den Wunsch weckt zu gehen.

Da der Partner diese Problematik nicht nachvollziehen kann, reagiert er häufig mit einem bestimmten Verhalten. Er versucht auf den Betroffenen einzugehen, sich anzupassen. Seine Liebe, bedingt durch die nie zuvor erlebte Innigkeit, weckt in ihm den Wunsch, alles für die Fortsetzung dieser Verbindung zu tun. Ähnlich wie der Borderliner im Beginn der Beziehung ist es nun der Partner der sich anpasst und sein Verhalten ändert. In ihm entsteht der Gedanke: „Wenn ich mich nur genug bemühe, mich anpasse, werde ich geliebt und die Beziehung hat eine Chance. Häufig liegt diesem Verhalten eine Komplementärstörung zugrunde. Der Partner verändert sich, teilweise bewusst, häufig jedoch unbewusst. Er greift auf Vermeidungsstrategien zurück um die Beziehung zu erhalten:

  • Genaues Beobachten und Scannen des Borderliners, um mögliche Stimmungsschwankungen und die damit verbundene Gefahr für die Beziehung rechtzeitig zu erkennen.
  • Der Versuch sich an den Borderliner anzupassen um Konflikte zu vermeiden. Es wird versucht der perfekte Partner zu sein. Man setzt sich dabei regelrecht unter Druck.
  • Unterdrückung eigener Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle und stoisches Ertragen der impulsiven emotionalen Ausbrüche des Betroffenen, auch wenn es einen sehr verletzt.

Letztendlich sind diese Vermeidungsstrategien jedoch nicht wirklich zielführend und sorgen nur dafür, dass man seine eigene Identität verliert.

Wenn es dann, trotz alles Bemühens, zur Trennung kommt ist der Schmerz riesig und ungleich heftiger als man es von früheren Beziehungen kennt. Dies hängt nicht nur damit zusammen, dass die ehemals geliebte Person nicht mehr da ist, sondern vor allem auch damit, seine eigene Persönlichkeit verloren zu haben. Dies führt zu einem völligen emotionalen Zusammenbruch. Der verlassene Partner spürt intensive Leere, Scham und Selbstabwertung. Für Außenstehende ist dieser Schmerz nur schwer nachvollziehbar und das Unverständnis von Freunden und Familie verstärken diese qualvollen Gefühle.

Häufig zeigt ein Angehöriger nach einer Trennung ein Verhalten, das an die Struktur der Borderline-Störung erinnert:

  • Impulsive Stimmungsschwankungen und der ständige Wechsel zwischen Liebe und Hass dem Borderliner gegenüber.
  • Gefühl von Leere und totaler Hilflosigkeit.
  • Emotionale Überflutung
  • Ständiger Wechsel zwischen Schuldgefühlen und Opferhaltung.

Diese heftigen Auswirkungen sind beim Ende einer Borderline-Beziehung ein durchaus logischer Prozess, der mit dem Verlust der eigenen Identität zusammenhängt. Man muss erst wieder zu sich selbst finden. Angehörige sind, anders als Borderliner, jedoch in der Lage diese Phase zu überwinden, auch wenn es sich anfangs nicht so anfühlt.

Es gibt verschiedene Strategien zum verarbeiten gescheiterter Borderline-Beziehungen. Da eine Beziehung eine sehr individuelle Angelegenheit ist und es weder den typischen Borderliner noch den typischen Angehörigen gibt, muss man seinen eigenen Weg finden mit seinem Schmerz umzugehen. Die verlinkte Seite kann maximal eine Unterstützung bieten, den für sich besten Weg zu finden.

Es kann auch Helfen sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen und sich mit anderen Angehörigen auszutauschen. Im Internet kann ich hierbei den Borderline-Spiegel empfehlen. Ich arbeite in diesem Forum selbst mit. Vorteil dieser Seite ist es, dass man dort die Möglichkeit hat sich nicht nur mit anderen Angehörigen und Partner auszutauschen, sondern auch von reflektierten Borderline-Betroffenen lesen kann. Neben der Hauptseite findet man dort auch ein gut besuchtes Forum und einen lebhaften Chat.

 

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Es gibt verschiedene Strategien gegen Trennungsschmerz und zum verarbeiten gescheiterter Borderline-Beziehungen. Da eine Beziehung eine sehr individuelle Angelegenheit ist und es weder den typischen Borderliner noch den typischen Angehörigen gibt, muss man seinen eigenen Weg finden mit seinem Schmerz umzugehen. Die unten aufgeführten Möglichkeiten haben sich bei verschiedenen Angehörigen bewährt. Es gibt sicherlich noch mehr Möglichkeiten mit Trennungen umzugehen, die ich vielleicht noch nicht kenne. Es gibt im Internet noch viele andere erfolgsversprechende Lösungen.

Die Null Kontakt-Strategie gegen Trennungsschmerz:

Die Betrachtung der Liebesbeziehung als süchtiges Verhalten.

Die Null-Kontakt-Strategie wird am häufigsten von Selbsthilfeforen und Experten als Strategie gegen Trennungsschmerz empfohlen. Muss deswegen jedoch nicht die sinnvollste Strategie sein. Sie ist durchaus effektiv, verursacht jedoch auch viel Schmerz.

Da man sich in Borderline-Beziehungen und der damit verbundenen, symbiotischen Verbindung sehr leicht selbst verliert, betrachtet man sich selbst bei dieser Trennungs-Strategie als süchtig nach der Beziehung. Durch die Trennung fühlt man sich wie ein Drogensüchtiger auf Entzug.

Wenn ein Süchtiger seine Sucht bekämpfen will, ist der erste und wichtigste Schritt, sich von der Droge zu befreien. Bei einer Beziehungssucht bedeutet das, ich muss jede Verbindung zum Betroffenen kappen. Wichtig ist alles, was einen an den Borderliner erinnert zu entfernen. Ebenso muss es unterbunden werden, dass es zu weiteren Kontakt mit ihm kommt. Dies kann erreicht werden indem man alle Kontaktdaten löscht, sich selbst neue Telefonnummern anschafft um auf Kontaktversuche des Betroffenen nicht mehr zu reagieren.

Dies wird anfangs sehr schwer fallen, doch wie bei jeder Sucht werden die Entzugserscheinungen mit der Zeit abnehmen.

Die Gefahr in dieser Strategie ist: Durch den heftigen Kontaktabbruch lässt man sein Gegenüber so schmerzhaft alleine, dass in ihm erst recht der Wunsch nach Kontaktaufnahme um sich zu erklären/rechtfertigen entsteht. Es kann also zu einer vermehrten Aufmerksamkeit durch den Borderliner kommen, obwohl man genau das Gegenteil erreichen will.

Zentrale Botschaft dieser Strategie ist: „Jeder Kontakt zum geliebten Borderliner ist verboten und schädlich. Wer auf Entzug ist, sollte sich von seiner berauschenden Droge fernhalten.“

Die kognitive Lösungs-Strategie gegen Trennungsschmerz:

Die rationale Erkenntnis, dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung es den Partner unmöglich macht, mit dem Betroffenen, eine glückliche Beziehung zu führen.

Wenn wir uns in einen Menschen verlieben, werden in uns eigene Wünsche und Bedürfnisse erweckt. Wir träumen von einer gemeinsamen Zukunft, suchen im Gegenüber Verständnis, Nähe und Beständigkeit. Alles dies war jedoch in der Beziehung mit dem Borderliner nicht vorhanden.

Bei der kognitiven Lösungs-Strategie wird versucht sich mit der Borderline-Störung intensiv auseinander zu setzen. Dabei ist es wichtig die Auseinandersetzung von einer möglichst neutralen Warte aus zu betrachten. Es geht erst mal nicht um den geliebten Partner, sondern darum die Borderline-Persönlichkeitsstörung zu verstehen. Wie macht sich die Krankheit bemerkbar? Welchen Mechanismen sind Borderlinern unterworfen?

Je mehr man über die Borderline-Störung weiß, wird man erkennen, dass diese Störung eine Beziehung, wie man es sich von einem Partner wünscht, nicht möglich macht. Man wird erkennen, dass eine kurzfristige Lösung für die Probleme, die zum Scheitern der Beziehung führten, nicht möglich ist und man als Angehöriger/Partner an dieser Situation nichts ändern kann.

Durch dieses Verständnis ist es möglich den geliebten Betroffenen als Menschen zu sehen der zwar weiterhin liebenswert ist, aber dessen Krankheit es unmöglich macht eine glückliche Beziehung mit ihm zu führen.

Die Gefahr bei dieser Strategie ist, dass man es nicht einsehen will machtlos gegen diese Störung zu sein. Das man an einer Retterrolle festhalten will.

Zentrale Botschaft dieser Strategie ist: „Ich liebe mein Gegenüber als Menschen immer noch, aber eine Fortführung der Liebesbeziehung würde für beide Seiten nur unnötig Schmerz bedeuten.“

Die Anti-Idealisierungs -Strategie gegen Trennungsschmerz:

Gezielte Änderung des Idealbildes das man von der geliebten Person hat.

Wenn man verliebt ist, neigt man dazu, das Gegenüber als etwas Größeres, Besonderes wahrzunehmen als es eigentlich sein sollte. Wir stellen die geliebte Person auf einen Sockel und beten sie abgöttisch an. Die positiven Eigenschaften überwiegen in unserem Bewusstsein, wir idealisieren.  Genau das macht ein Borderliner im Übrigen in der danach benannten Idealisierungsphase ebenfalls.

Auf die Phase der Idealisierung folgt beim Borderliner häufig der Abwehrmechanismus Spaltung. Dies erreicht er, indem er sich die negativen Eigenschaften des Partners bewusst macht. In seiner Wahrnehmung besteht der Partner nun nur noch ausschließlich als „bösen“ Eigenschaften.

In der Anti-Idealisierungs-Strategie greift man auf genau diesen Mechanismus zurück. Borderliner haben darauf keinen Monopolanspruch. Während Borderliner diesem Abwehrmechanismus jedoch meist unbewusst und automatisch unterworfen sind, kann ein Angehöriger/Partner dies bewusst herbei führen.

Ziel dieser Strategie ist es sich der negativen Eigenschaften der Betroffenen bewusst zu machen und sich an die Schmerzen zu erinnern, die ihr Verhalten in einem selbst ausgelöst haben. Machen sie sich diesen Schmerz bewusst und machen sie sich klar, dass dies sicher nicht das ist, was sie von einer glücklichen Liebesbeziehung wünschen. Auf diese Weise können sie sich von der idealisierten Wahrnehmung des geliebten Menschen lösen.

Die Gefahr bei dieser Strategie ist: Man verliert sich leicht in Hass auf sein Gegenüber. Hass ist eine fast ebenso starke Emotion wie Liebe und bindet mindestens ebenso stark, was kontraproduktiv ist. Ziel ist es ja Loslassen zu können.

Zentrale Botschaft dieser Strategie ist:  „Es gibt wenig Liebenswertes in meinem Gegenüber und eine Fortführung der Beziehung bedeutet nur unnötigen Schmerz für mich!“

Die Scheibchenweise-Lösungs-Strategie gegen Trennungsschmerz:

Das langsame Auslaufenlassen der Beziehung durch sanfte Entwöhnung.

Diese Strategie kann dann sinnvoll sein wenn eine klare Trennung, bedingt durch äußere Umstände nicht möglich ist (z.B. bei gemeinsamen Kindern).

Bei dieser Strategie gibt es keinen klaren Schnitt in der Beziehung, sondern man distanziert sich langsam von seinem Gegenüber. Man trifft sich nicht mehr, unternimmt keine gemeinsamen Aktivitäten mehr, geht sich jedoch auch nicht aus dem Weg. Man telefoniert vielleicht miteinander, spricht wichtige Dinge ab, aber versucht die emotionale Verbindung dabei so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört das man auf Liebesbekundungen wie „Ich liebe dich!“ oder „ich vermisse dich!“ verzichtet und ignoriert wenn sie einem entgegen gebracht werden. Wenn es zu emotionalen Momenten kommt, löst man sich aus der Situation. Wenn zum Beispiel ein Streit entsteht, sagt man: „So mag ich nicht weiter reden, ich beende für heute das Gespräch!“, steht jedoch weiteren, wohlwollenden Kontakt offen gegenüber.

Man erzählt sich alles was man erzählen will, lässt den geliebten Menschen weiter an seinem Leben teilhaben, verzichtet jedoch darauf die Beziehung als Liebesbeziehung fortzuführen. Diese Strategie ist mit einem Borderliner nur sehr schwer durchführbar, doch man ist dem Gegenüber weitaus weniger ausgeliefert als man glaubt.

Die Gefahr bei dieser Strategie ist: Man fällt leicht wieder in alte Muster zurück, da man die Vertrautheit der Verbindung noch sehr intensiv in sich trägt. Diese Strategie erfordert viel Selbstdisziplin und Willen.

Zentrale Botschaft dieser Strategie ist: „Mein Gegenüber bleibt eine wichtige Person in meinem Leben, aber eine Liebesbeziehung wünsche ich nicht mehr!“

Die radikales Akzeptieren-Strategie gegen Trennungsschmerz:

Das radikale Akzeptieren das die Liebesbeziehung zu Ende ist.

Diese Strategie ist vielleicht die vernünftigste und gesündeste für einen selbst. Doch ist sie auch sehr schwer umzusetzen und setzt ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Abgrenzungsfähigkeit voraus.

Zurückblickend kann man die Beziehung als etwas „Schönes“ betrachten, oder als einen wichtigen Abschnitt im Leben der im „Hier und Jetzt“ vorüber ist. Durch das radikale Akzeptieren, das im Übrigen auch ein Modul im DBT-Programm der dialektisch behavioralen Therapie ist, akzeptiere ich das Ende der Beziehung als Tatsache, die nicht zu ändern ist. Man lässt die Emotionen und schönen Erinnerungen in der Vergangenheit und richtet seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart. Es gab Gründe warum die Beziehung kaputt gegangen ist und diese Gründe lässt man im Raum stehen, ohne Analysen und Rechtfertigungen zu suchen, warum sie vielleicht nicht richtig sind. Man akzeptiert zusätzlich, dass man diese Gründe nicht beseitigen kann und versucht sie nicht in richtig oder falsch zu werten, oder sich selbst oder anderen zuzuschreiben. Durch diese Betrachtung richtet man seine Aufmerksamkeit nach vorne. Vielleicht sucht man sich eine Aufgabe, oder trifft sich mit Menschen mit denen man gerne zusammen ist. Die Aufmerksamkeit liegt nur in der Gegenwart. Gedanken an Vergangenes oder Zukünftiges sind nicht zielführend und werden deswegen bei Seite geschoben. Nur in der Gegenwart ist und bleibt man handlungsfähig.

Die Gefahr bei dieser Strategie ist: Radikales Akzeptieren ist für Menschen die sich bisher nie mit dieser Technik auseinander gesetzt haben sehr schwer umsetzbar und erfordert ein wenig Übung, ist dann jedoch in allen Lebensbereichen eine wirkungsvolle Hilfe.

Zentrale Botschaft dieser Strategie ist: „Es ist wie es ist! Ich bewerte nicht mehr sondern akzeptiere, dass etwas das schön war auch ein Ende finden kann!“

 

 

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Die frei flottierende Angst von Borderlinern

Borderline: frei flottierende Angst
Borderline: frei flottierende Angst

Angst ist ein notwendiger und normaler Affekt. Sie hat die wichtige Aufgabe, als ein die Sinne schärfender Schutzmechanismus, bei tatsächlicher oder vermeintlicher Gefahrensituation eine angemessene Gegenreaktion (etwa Flucht) einzuleiten. Angst kann sowohl bewusst als auch unbewusst wirken und ist die gelernte Verbindung von spezifischen Hinweisreizen in Ereignissen und deren schädlichen Konsequenzen. Das emotionale Gedächtnis spielt hierbei eine wichtige Rolle.

In leichteren Graden tritt Angst als Gefühl, noch etwas tun zu müssen, etwas noch nicht fertig zu haben, als Gefühl des Suchens, des Klarwerden Mögens auf.

Jeder Mensch kennt Ängste, darum reagiert man auch oft überrascht auf die heftigen Angst-Reaktionen von Borderlinern, die extrem übersteigert scheinen. Von einem Moment auf den anderen reagiert der Borderliner extrem impulsiv, abweisend und panisch. Oft ist dafür kein, von aussen sichtbarer, Grund vorhanden.

Ursache für diese plötzlichen Stimmungswechsel sind die frei flottierenden Ängste, unter denen Borderliner leiden. Unter „Frei flottierende Angst“ wird jene Angst bezeichnet, die ohne erkennbaren Grund von einer Sekunde auf die andere eintritt.

 

Die (frei flottierende, diffuse) Angst ist der zentrale Affekt bei Borderline-Störungen.

Birger Dulz

 

Diese Ängste übersteigen „normale“ Angstzustände extrem und gehen eher in Richtung Panikattacken, vergleichbar mit dem Gefühl des Ertrinkens. Nach Volker Faust (1995) grenzt sich die heftige, frei flottierende Angst  gegen die „vielfältigen“ angemessenen „Ängste“ folgendermaßen ab:

  •  die „Unangemessenheit“ der Angstreaktion gegenüber den Bedrohungsquellen
  • die Symptomausprägung, wie Angstintensität, Angstpersistenz, abnorme Angstbewältigung und subjektiver und körperlicher Beeinträchtigungsgrad.

Die frei flottierende Angst wird als unvermeidbar, unkontrollierbar, von existentieller Bedrohlichkeit wahrgenommen und löst beim Betroffenen impulsive Abwehrmechanismen aus.

Angehörige und Partner nehmen sie bei Borderlinern i.d.R. als heftige unangemessene Wut wahr, die gegen sie gerichtet scheint. Otto Kernberg sah in dieser Wut sogar den zentralen Aspekt der Borderline Persönlichkeitsstörung. Birger Dulz hat 1999 in seiner Antithese für mich nachvollziehbar aufgezeigt das diese Wut jedoch erst durch die frei flottierende Angst ausgelöst wird.

Diese Ängste sind bereits in der frühsten Kindheit entstanden und haben im Laufe der Zeit durch re-traumatisierung an Intensität zugenommen. Sie lösen bei Betroffenen ein so hohes Stressniveau aus, dass ein „gesunder“ Umgang damit schier unmöglich scheint. Auch wenn der Auslöser, soweit er überhaupt wahrnehmbar ist, nichtig erscheint empfindet der Borderliner die Situation, bedingt durch seine Angst als existenzbedrohend und handelt dementsprechend heftig.

Partner von Borderlinern werden mit dieser frei flottierenden Angst besonders häufig in Beziehungen konfrontiert.

 

Wie oben beschrieben treten die Ängste spontan und nicht immer aus ersichtlichem Grund auf, darum gibt es die unterschiedlichsten Einstiegspunkte.

Beispiel:
Der Borderliner befindet sich in einer intensiven, symbiotischen Verbindung und fühlt sich mit seinem Partner emotional verbunden. Alles ist toll…:

  • …dann kommt plötzlich der Gedanke, was passiert wenn sich das nun ändert? Wenn der Partner plötzlich wieder geht und der Borderliner allein mit seinen ganzen Emotionen zurück bleibt? (=Angst vor dem Verlassenwerden)
  • … oder es kommt der Moment wo der Betroffene merkt das man sich so sehr mit dem anderen Menschen verschmolzen fühlt, dass man nicht mehr unterscheiden kann wo man selbst endet und der Partner anfängt (=Angst verschlungen zu werden)
  • …oder dem Partner wird die Intensivität zu viel, was anfangs noch schön war, wird viel zu fordernd und er wünscht etwas mehr Eigenständigkeit, was der Betroffene als Bedrohung wahrnimmt. (= Angst vor dem Verlassen werden)
  • … oder der Betroffene merkt, dass ihm die Nähe zu viel wird, dass er Abstand braucht und den Partner als klammernd wahrnimmt. (= Angst vor dem Verschlungen werden)
  • …oder der Partner konfrontiert den Betroffenen mit Dingen, die er an ihm wahrnimmt. (=Angst vor dem Verschlungen werden + Angst vor dem Verlassenwerden gleichzeitig)
  • … oder viele andere Gründe die diese, oder ähnliche Ängste auslösen.

Diese frei flottierende Angst kann leider nicht ausgeredet und somit beseitigt werden. Sie ist ständiger Begleiter des Borderliners und bleibt das auch.  Echtes Vertrauen wird in der Regel nicht da sein. Zumindest nicht in dem Maße wie andere Menschen das kennen. Dazu sind Borderliner aufgrund ihres bereits Früh entwickeltem Misstrauen nicht fähig. Sind die Ängste mal da, fressen sie sich tief in einen rein… hier kommt es nun darauf an, wie gut man mit ihnen umgehen kann. Manche Betroffene können diese Ängste besser aushalten, manche schlechter. Und die Reaktion darauf ist auch sehr unterschiedlich. Fast ebenso unterschiedlich wie die Gründe warum die Ängste kommen.

Ausgelöst durch diese frei flottierende Angst entsteht evtl. beim Betroffenen das Gefühl,  dass die Beziehung im Rückblick gar nicht so toll ist, wie zunächst angenommen, bzw. es fühlt sich auch nicht toller an als der Rest des Alltags. So gesehen gibt es dann für ihn auch keinen Grund, die Beziehung zu erhalten. Im Gegenteil, durch Trennung beseitigt der Borderliner scheinbar die Ursache für die in ihm entstandenen, existenzbedrohenden Ängste.

Meist geht dem aber ein großer Zwiespalt voraus. Eine extreme Zerrissenheit, wo der Betroffene zwischen dem Gefühl „ich muss weg“ und „ich muss bleiben“ hin und her gerissen wird. Dieser Zustand ist garstig. Dies ist der Moment wo man das Außenstehender das Gefühl hat, der Borderliner wechselt alle Minute seine Stimmung… das ist ja auch so.

Sehr häufig kommt es dann wirklich zur Trennung, weil dieses Gefühl der Zerrissenheit nicht auszuhalten ist und eine Trennung als einzige Möglichkeit erkannt wird, die er wirklich selbst beeinflussen kann.

 

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Dr. Birger Dulz: Wut oder Angst – welcher Affekt ist bei Borderline-Störungen der zentrale?

Prof. Dr. med. Volker Faust: Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)

 

Borderline Fragen und Antworten Teil II.

11.)    Haben Borderliner wirklich keine empathischen Fähigkeiten?

Hier ist es schwierig eine Antwort zu finden. Borderliner haben meistens sehr früh gelernt Empfindungen anderer wahrzunehmen. Es war i.d.R. sogar notwendig, um ihr Überleben zu sichern. Wenn man Empathie nur als Fähigkeit betrachtet, Emotionen beim Gegenüber wahrzunehmen, sind sie also sogar überdurchschnittlich ausgeprägt empathisch. Partner nehmen das meist wahr, indem der Borderliner sehr genau weiß, was der Partner wünscht. Gerade am Anfang einer Beziehung ist diese Fähigkeit besonders spürbar und macht die Beziehung so einzigartig intensiv. Was jedoch, gerade nach der Phase der Symbiose, fehlt ist die Fähigkeit Mitgefühl zu empfinden. Dafür sind eigene Emotionen nötig und auf die haben Betroffene oft keinen Zugriff. Es kann auch vorkommen das sie so viel Emotionen von Mitmenschen aufnehmen, dass sie damit überfordert sind und sich deswegen davor schützen indem sie sich rabiat abgrenzen.

12.)    Leiden Borderliner nach Trennungen?

Auch wenn das nach außen hin gerne so scheint, entspricht es nicht unbedingt der Wahrheit. Borderliner leiden natürlich unter gescheiterten Beziehungen. Jedoch gibt es deutliche Unterschiede. Einer Trennung geht meist eine bestimmte Zerissenheit voraus, in dem der Betroffene ständig zwischen dem Wunsch nach Nähe und dem Wunsch nach Distanz hin und her geworfen wird. Eine Trennung ist meist eine kurzfristige Möglichkeit diesen Druck, der durch die Zerissenheit entsteht zu lindern. Durch die Trennung ist der Schmerz, den diese Zerissenheit ausgelöst hat, erst mal beseitigt und man fühlt sich frei. Jeder Versuch von verlassenen Partnern in dieser Phase eine Änderung herbeizuführen, ist unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Es nützt nicht an gute Zeiten zu appelieren, denn der Betroffene hat als Letztes nur die Anspannung durch diese Zerissenheit in Erinnerung und empfindet eine Wideraufnahme der Verbindung als Bedrohung. Wenn jedoch eine gewisse Distanz hergestellt ist, kommt es sehr wohl zu einem Gefühl des Verlustes, das je nach Ausprägung sehr heftig ausfallen kann. Es kommt häufig vor, dass im Borderliner in dieser Phase der Wunsch entsteht die Beziehung wieder aufzunehmen. Dieser Wunsch ist aber nicht unbedingt beständig.

13.)    Melden sich Borderliner immer nach Trennungen = Ping ?

Es kommt häufig vor, aber ist nicht immer der Fall. Wie unter Punkt 12.) beschrieben kann der Wunsch die Beziehung wieder aufzunehmen entstehen. Es kann auch sein das man, um seine Spaltung aufrecht erhalten zu können, Kontakt zum Ex-Partner aufnimmt, um Anfeindungen und Hass zu spüren. Dies sind Emotionen die dem Borderliner sehr vertraut sind und mit denen er gut umgehen kann. Es gibt jedoch zahlreiche Gründe, warum eine Trennung und der damit verbundene Kontaktabbruch dauerhaft ist.

  • Es ist ein neuer Partner da, der nun die ganze Aufmerksamkeit bekommt.
  • Der Borderliner fühlte sich vom Partner so erdrückt, dass man sich ohne Kontakt freier fühlt.
  • Aus Schuldgefühlen schämt sich Borderliner zu sehr, um mit dem Ex-Partner in Kontakt zu treten.
  • Der Borderliner empfindet den Partner als Bedrohung.
  • Der Borderliner versucht sich selbst zu stabilisieren und ist deswegen in seiner Konzentration einzig und allein bei sich.

 14.)    Wollen Borderliner ihre Ex-Partner verletzen?

Das kann wirklich vorkommen. Vor allem wenn der Betroffene Hass und Erniedrigung entgegengebracht bekommen will, um Bestätigung für seine Abwertung und die Entscheidung sich zu trennen sucht. Es fällt Borderlinern leichter sich zu trennen, wenn eine Beziehung in Hass auseinander geht. Der Grund dafür ist, dass Hass eine ebenso starke Emotion wie Liebe ist. Hass verbindet und auch nach einer Trennung sucht der Betroffene einen Weg zu seinen Gefühlen. Meistens ist es jedoch so, dass Borderliner nach einer Trennung erst mal mit sich selbst beschäftigt sind. Die Trennung erfolgt ja gewöhnlich aus einer existenziellen Not heraus. Darum ist der Borderliner, die erste Zeit der Trennung, damit beschäftigt sich selbst zu stabilisieren. Ex-Partner nehmen dieses Verhalten häufig als eiskalten Egoismus wahr, was es auf gewisse Weise auch ist. Der Betroffene hat dabei aber weniger die Verletzung des Ex im Sinn, als vielmehr sein eigenes Überleben zu sichern. Gerade der verlassene Partner ist in der Anfangszeit der frischen Trennung noch sehr mit der Beziehung verhaftet, da er aus Liebe ständig im Gedanken beim Partner ist. Der Betroffene hingegen versucht sich in dieser Zeit selbst zu schützen und beschäftigt sich i.d.R. einzig mit sich selbst. Natürlich ist dieser Unterschied für beide Seiten deutlich wahrnehmbar und sorgt auf beiden Seiten für Unverständnis.

15.) Stellen sich Borderliner immer als Opfer dar?

Wie das Modell des Dramadreiecks wunderbar zeigt, ist die Wahrnehmung in welcher Rolle ich mein Gegenüber sehe davon abhängig, in welcher Rolle des Dreiecks ich mich selbst sehe.

  • Wenn ich mich selbst als Retter empfinde, werde ich mein Borderline-Gegenüber gerne als Opfer sehen, dem ich helfen will.
  • Wenn ich ein Verlassener Partner bin werde ich mich selbst als Opfer des Borderliners sehen und selbigen zum Täter machen.
  • Es kann sogar vorkommen das ich mich selbst schuldig fühle und deswegen mein Borderline-Gegenüber als Opfer deklariere.

Es gibt keine wirkliche feste Rolle in diesem Modell. Sie unterliegt immer einer gewissen Dynamik.

16.) Ist Borderline wirklich unheilbar?

Ja, das stimmt. Wenn man sich jedoch in Therapie begiebt und hart an sich arbeitet, ist es möglich, die Symptome so weit in den Griff zu bekommen, dass sie nicht mehr spürbar auftreten müssen. Allerdings braucht man dafür Geduld. Es dauert einige Jahre bis eine spürbare Verbesserung erkennbar ist.

17.) Wurden alle Borderliner sexuell Missbraucht?

Nein, es ist zwar richtig, dass sexueller Missbrauch im Kindesalter ein Auslöser für Borderline sein kann, es sind jedoch immer mehrere Ursachen warum Menschen eine Persönlichkeitsstörung entwickeln. Es ist ebenso falsch zu behaupten, alle Borderliner wurden missbraucht, sowie, dass alle Missbrauchsopfer Borderliner sind.

18.) Ist Borderline eine reine Frauenkrankheit?

Nein, Borderline wird zwar bei Frauen etwas häufiger diagnostiziert, dies hat aber weniger damit zu tun, dass es sich um eine Frauenkrankheit handelt, sondern das Frauen eher bereit sind, sich in therapeutische Behandlung zu begeben. Derzeit geht man davon aus, dass etwa 1/3 der Betroffenen Männer sind. Berücksichtigt man die Dunkelziffer, die sich aus Scham nicht mit einer Emotional Instabilen Persönlichkeitsstörung auseinandersetzen können, kann man fast von einem Verhältnis von 50:50 ausgehen.

19.) Manipulieren Borderliner?

Ja, dem ist leider so. Allerdings nicht so zielgerichtet und absichtlich wie es gerne behauptet wird. Ursache für die Manipulationen von Borderlinern sind ihre Ängste. So versuchen sie zum Beispiel durch Manipulation zu verhindern, dass sie verlassen werden. Hinter dem Manipulationsverhalten stecken fast immer Existenzängste.

20.) Sind Borderliner unzuverlässig?

Ja, auch das ist leider in bestimmter Weise richtig. Borderliner versuchen festen Vereinbarungen aus dem Weg zu gehen. So fühlen sie sich bei Zusagen häufig unter Druck gesetzt, an dem Termin auch wirklich „funktionieren“ zu müssen. Das mag für „normale“ Menschen schwer nachvollziehbar sein, da ja auch andere Menschen bei der Terminabsprache nicht wissen können, wie es ihnen an diesem Tag geht, doch bei Borderlinern ist die Angst davor zu versagen und einen Termin nicht einhalten zu können so immens, dass sie sich ab dem Zeitpunkt der Absprache massiv unter Druck setzen. Ein weiterer Grund für ihre Unzuverlässigkeit ist ihre Sprunghaftigkeit. Was heute noch eine schöne Sache sein kann, auf die man sich freut, kann Morgen schon ganz anders aussehen. Borderliner sind nicht fähig, die dafür nötige Objektkonstanz zu entwickeln, sondern unterliegen ihrer Impulsivität, was Planungen zusätzlich erschwert. Besser, man plant mit Borderlinern nie länger als maximal 1 Woche im Voraus.

 

Borderline Fragen und Antworten Teil I

Borderline Fragen und Antworten Teil III