Borderline: Unterschied männlich – weiblich

Ein Leser hat über die Feedbackseite den Wunsch geäußert, dass ich einmal auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Borderlinern eingehe. Darüber wollte ich schon lange schreiben, der Hinweis gab mir den nötigen Antrieb dafür mich mit dem Thema mehr zu beschäftigen.

Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Borderlinern.
Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Borderlinern.

Nachtrag: Beim jährlich stattfindenden bundesweiten Borderline-Trialog in Ansbach war diesmal das Thema: Borderline bei Männern & Jungs – ein kleiner aber feiner Unterschied. Ich habe das erste mal dort teilgenommen und habe deswegen neue Informationen die ich nun auf diese Seite einfließen lassen werde. Dr. Stefan Röpke, Leiter des Bereichs Persönlichkeitsstörungen bei der Charité Berlin referierte zu dem Thema und brachte für mich teilweise neue Erkenntnisse mit.

Wenn man die nackten Zahlen der Statistiken betrachtet, dann könnte man den Eindruck gewinnen, Borderline sei eine Krankheit an der überwiegend Frauen leiden. Ein weibliches Phänomen also. Studien die bei klinischen Stichproben gewonnen wurden zeigen auch tatsächlich deutliche Geschlechtsunterschiede. Man geht lt. diesen Studien von einem deutlichen Übergewicht von 70% weiblichen Borderlinern aus.

Eine andere Studie von Grant zeigte jedoch keine wesentlichen Unterschiede. Prof. Dr. Faust schreibt von Studien die von einem Verhältnis 2:3 bezüglich Männer zu Frauen sprechen. Es gibt auch Meinungen die von einem Verhältnis 50:50 sprechen. Letztendlich ist keine diese Hochrechnungen repräsentativ.

Das einzige was sicher gesagt werden kann: In klinischer Behandlung sind Frauen mit fast ¾ der Betroffenen deutlich in der Überzahl. Die Ursachen dafür sind unklar. Häufig liest man den Satz:

Borderline-Patientinnen kommen eher in eine ambulante oder stationäre psychotherapeutische Betreuung, Borderline-Männer fallen häufiger juristisch auf und kommen eher ins Gefängnis oder in forensische Einrichtungen.

Jedoch gibt es auch für diese These keinen wirklich repräsentativen Beleg, was allein schon darauf zurückzuführen ist, dass man bei kleineren Straftaten selten nach psychischen Störungen sucht.

Dr. Röpke brachte jedoch Zahlen mit, die diese Aussage  jedoch zu bestätigen scheinen. Er stellte jedoch auch klar das es sich dabei jedoch meist nicht um Straftaten handelt, bei denen sich die Betroffenen einen Vorteil verschaffen wollen, sondern eher um Kollateralschäden bei selbstschädigendem Verhalten.

Fakt ist, das sich männliche Borderliner seltener in Behandlung begeben. Warum das so ist, lässt sich nur vermuten. Vielleicht hängt es mit einem veralteten Gesellschaftsbild zu tun, in dem ein Mann, als Versorger, es sich weniger leisten kann eine Schwäche einzugestehen.

Es ist nicht nur so das sie sich deutlich weniger in Behandlung begeben, die Abbruchrate von begonnenen Therapien ist im vergleich mit betroffenen Frauen auch wesentlich höher. Eine Ursache dafür könnte das relativ hohe Vorkommen narzisstischer und antisozialer Persönlichkeitsstörungen als Komorbidität bei Männern sein. Ausserdem haben Borderlinemänner häufiger komorbidie Suchterkrankungen, die Ursache für einen möglichen Therapieabbruch sein können.

In den Jahren habe ich die Bekanntschaft von vielen Borderlinern (sowohl männlich, als auch weiblich) gemacht. Jeder von ihnen ging individuell mit der Störung um. Es gibt den typischen Borderliner nicht. Aus diesem Grund kann es auch nicht den typischen männlichen, oder typisch weiblichen Borderliner geben. Es gibt jedoch kleine Auffälligkeiten.

Sowohl Mann als auch Frau kennen die frei flottierenden Ängste, die meist der Auslöser für dysfunktionales Verhalten sind. Es gibt jedoch auffallend geschlechtsspezifische Unterschiede wie die Betroffenen mit diesen Ängsten umgehen.

  •  Männliche Borderliner neigen eher zu Aggression, leben ihre Wutausbrüche deutlicher aus neigen häufiger zu Hochrisikoverhalten.
  • Männliche Borderliner zeigen eine deutlich höhere Impulsivität.
  •  Selbstverletzung kommt bei beiden etwa gleichhäufig vor, doch männliche Borderline achten mehr darauf ihre Verletzungen zu verbergen, während weibliche Betroffene sich häufig sichtbar verletzen.
  •  Sehr deutlich werden die Unterschiede bei dem Abwehrmechanismus Reaktionsbildung: Männer können mit Wut deutlich besser umgehen und wandeln Trauer häufig in Wut um, während Frauen sich deutlich häufiger in die Trauer flüchten und sich Wut nicht zugestehen.
  •  Meiner Einschätzung nach ist der Wunsch es allen Recht zu machen und sich anzupassen bei weiblichen Betroffenen spürbar häufiger wahr zu nehmen.
  •  Weibliche Betroffene haben häufiger Probleme mit ihrem Körper, Sexualität und Nähe, meist aufgrund sexueller Übergriffe in der Vergangenheit.
  •  Männliche Borderliner neigen häufiger dazu sich gegen Autoritäten aufzulehnen.
  • Weibliche Borderliner weisen lt. Dr. Röpke eine deutlich höhere Symptomausprägung auf.
  • Weibliche Borderliner zeigen wesentlich häufiger dissoziative Symptome.
  • Unterschiede auch bei Komorbiditäten: Borderlinerinnen leiden häufig zusätzlich an affektiven Störungen, wie Depressionen, erkranken häufiger an einer PTBS und neigen wesentlich häufiger dazu Essstörungen zu entwickeln. Männliche Borderliner habene eine wahrnehmbar höhere Komorbiditätsrate mit der Narzisstischen und Antisozialen Persönlichkeitsstörung und greifen häufiger auf Substanzmissbrauch zurück.

Diese Unterschiede sind jedoch nicht verbindlich auf die Geschlechter festzulegen. Es handelt sich lediglich um Tendenzen die geschlechtsspezifisch häufiger auftreten. Die Erziehung und das Umfeld in dem Borderliner aufwachsen hat darauf einen entscheidenden Einfluss.

Was eine wirkliche Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Borderlinern nahezu unmöglich macht ist die Tatsache, dass die BPS selten alleine auftaucht. Meist tritt Borderline mit Komorbiditäten (Begleiterkrankungen), wie z.B. Depressionen auf, was natürlich das Verhalten ebenfalls stark beeinflusst. Dieser Umstand macht auch eine fundierte Borderlinediagnose schwierig.

Je länger Borderliner in Behandlung sind, umso schwieriger wird es Unterschiede festzustellen, da die oben genannten Auffälligkeiten weniger mit der Borderline-Störung selbst, sondern eher mit den verschiedenen Abwehrmechanismen, oder Konditionierungen zu tun haben. Es ist also leichter zwischen „reflektierten“ und „nicht reflektierten“ Borderlinern zu unterscheiden.

 

Was sie noch interessieren könnte:

Borderline: Was ist das?

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Borderline: Definition ICD 10 und DSM IV

Weitere Links zum Thema (ausserhalb von Grenzwandler.org):

Prof.Dr.Faust: Die Borderlinepersönlichkeitsstörung (BPS)

Vortrag von Prof.Martin Bohus

 

Unterschied zwischen Narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Borderline

Unterschied Narzissmus - Borderline
Unterschied Narzissmus – Borderline

Während die Motivationskraft des Narzissten in der Suche nach Ruhm, Berühmtheit und Kraft besteht, liegt die Motivation des Borderline-Patienten in dem Verlangen nach Bindung und Abhängigkeit. Der Narzißt wird dem Ruhm zuliebe auf Liebe verzichten, der Borderline-Patient zugunsten der Liebe auf den Ruhm.

Während das narzißtische Individuum einen Eindruck von Selbstgenügsamkeit und von einem Fehlen der gewöhnlichen menschlichen Bedürfnisse nach Liebe und Anerkennung vermittelt, wirkt das Borderline-Individuum im Gegensatz dazu abhängig, verzweifelt nach menschlichem Kontakt suchend und hilflos, wenn es dem Alleinsein ausgeliefert ist. Wie eine Statue verleugnet der Narzißt seine Abhängigkeit, während der Borderline-Patient weinerlich in seiner Bedürftigkeit verharrt.

Der Narzißt ist nach außen hin übermäßig selbstbewußt und grandios, im Verborgenen hingegen schambeladen und unsicher. Das Borderline-Individuum fühlt sich minderwertig gegenüber allen anderen, obwohl die hartnäckige Gewißheit dieser Selbsterniedrigung auf eine versteckte Einbildung und Grandiosität schließen läßt.

Dem Narzißten fehlen die chronische offene Wut des Borderline-Patienten ebenso wie die Selbstverletzung und die schweren suizidalen Verhaltensweisen. Tatsächlich verhalten sich beide sehr unterschiedlich, wenn sie gereizt werden. Während der Narzißt in seiner Wut scharf, wenn auch mit einer verengten Perspektive argumentiert, reagiert der Borderline-Patient unter den gleichen Bedingungen aufgeregt, unlogisch und chaotisch. Kommt es bei dem ersteren eher zu kalkuliertem und anhaltendem Haß, so neigt letzterer eher zu explosiven Wutausbrüchen, die manchmal schnell wieder verflogen sein können.

Im allgemeinen sind die Narzißten beruflich besser eingebunden und auch ortsbeständiger, selbst wenn der gar nicht so selten erworbene große soziale Ruhm und Erfolg letztlich nur im Dienste ihres Exhibitionismus steht. Im Gegensatz dazu sind die Borderline-Individuen beruflich und sozial weniger erfolgreich. Selbst wenn sie talentiert sind, gelingt es ihnen nicht, eine ausdauernde Initiative zur Entwicklung und Verfeinerung ihrer Fähigkeiten zu etablieren. Gleichzeitig neigen sie auch zu häufigem Ortswechsel, so daß ihrem Weg zur klinischen Aufnahme oft eine bunte Reise vorausgeht.

Die zwischenmenschlichen Beziehungsmuster von Individuen mit Narzißtischer und mit Borderline-Persönlichkeitsstörung unterscheiden sich deutlich. Der Narzißt idealisiert einige Menschen, andere hingegen entwertet er. Getrieben davon, seine „Sonderstellung“ zu untermauern, umgibt er sich in der Öffentlichkeit nur mit den von ihm als Besondere wahrgenommenen und meidet die von ihm Entwerteten (sicher kann es hierbei zu einer Umwertung von einer Kategorie zur anderen kommen, doch finden solche Wechsel nur langsam im Verlauf von Monaten oder gar Jahren statt). Im privaten Bereich hingegen umgibt er sich eher mit von ihm als weniger fähig und talentiert erlebten Mitmenschen, um sein Gefühl der Einzigartigkeit zu unterstützen. Im Gegensatz hierzu dürstet es das Borderline-Individuum nach sozialen Kontakten, die es mit allem und jedem eingeht, nur um das Alleinsein zu vermeiden. Idealisierungen und Entwertungen geschehen intensiver und schneller und sie betreffen oft an einem einzigen Tag ein und dieselbe Person. Somit ist die zwischenmenschliche Welt des Narzißten stabil, aber beschränkt, die des Borderline-Patienten hingegen unermüdlich ausufernd, aber auf schwankendem Grund, was sich am deutlichsten im Liebes- und Sexualleben beider offenbart. So mag der Narzißt zwar eine stabile Ehe führen, die aber für gewöhnlich nur eine soziale Fassade darstellt, hinter der er seine Unfähigkeit zu lieben und entweder seinen sehnsüchtigen Hunger nach Sex oder wirkliche Untreue und Promiskuität außerhalb der Ehe verbirgt. Das Borderline-Individuum hingegen wandert von einem Sexualobjekt zum nächsten, ohne über die Ich-Ressourcen für eine stabile Ehe zu verfügen. Falls es zu einer Eheschließung kommt, so verläuft diese Verbindung nach außen hin chaotisch, wenngleich innerlich ein nahezu süchtiges Verlangen nach dem frustrierenden Partner bestehen mag (vgl. Kap.4.4).

Zwischen narzißtischen und Borderline-Denkmustern gibt es entscheidende Unterschiede. Zwar neigen beide zur Vernachlässigung von Details, jedoch neigt der Narzißt dazu, seine Konversation mit einer oberflächlichen Kenntnis aufregender Banalitäten, nur für Eingeweihte bestimmten Details und überraschenden Wendungen im Satzbau zu schmücken. Er liebt die Sprache, die ihm mehr als zur Informationsübermittlung dazu dient, seine Selbsteinschätzung zu regulieren. Chronisch egozentrisch widmet er anderen nur wenig Aufmerksamkeit und vergißt ohne weiteres deren Namen. Aufgrund seiner Unfähigkeit, die zu erwartende Scham und Demütigung von Ausbildungssituationen zu tolerieren, fürchtet sich der Narzißt davor, neue Fähigkeiten zu erlernen. Neues Wissen wird von ihm umgehend als unnötig und sinnlos abgetan. Ganz anders scheint der Borderline-Patient Informationen geradezu in sich aufzusaugen, wenngleich dies im wesentlichen dazu dient, mit einer anderen Person in Kontakt zu bleiben. Seine Denkweise ist dadurch gekennzeichnet, Dinge in schwarz und weiß unterteilt wahrzunehmen, woraus sich eine Neigung zu spontanen und leichtsinnigen Entscheidungen herleitet.

Zusammenfassend sind also beide, sowohl der narzißtische als auch der Borderline-Patient, rastlos und untröstlich in einen chronischen Verfolgungskampf verstrickt, jedoch ist ihre Annäherung an dieses Leben unterschiedlich, so daß ihnen das Leben auch unterschiedliche Erfahrungen zukommen läßt. Dies überrascht insofern nicht, als die ersten Schritte in ihrem jeweiligen Leben schon unterschiedlich verliefen. (…)”

Auszug aus: Salman Akhtar in: Handbuch der Borderline-Störungen Hrsg.: Kernberg, O; Dulz, B; Sachsse, U.: 1. Aufl., Stuttgart 2000

 

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Weitere Links zum Thema (ausserhalb von Grenzwandler.org):

Prof. Dr. Faust: Psychologie Heute: Narzissmus, Von der zeit-typischen egoistischen Selbstverliebtheit bis zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Narzissmus.net: Was ist eine NPS?