Modediagnose Borderline

Medizinisch wird davon ausgegangen das in Deutschland ca. 2% von BPS betroffen sind. Doch gerade in letzter Zeit trifft man immer häufiger auf mehr oder weniger diagnostizierte Borderliner, so dass man, wenn man sich durch diverse Foren liest den Eindruck gewinnt, die tatsächliche Anzahl der Betroffenen liegt bei etwa 30-50%. Jedes absonderliche Verhalten in einer Beziehung wird sofort mit Borderline erklärt. Sehr oft haben die beschrieben Partner nicht einmal eine Diagnose oder wissen selbst, dass ihr
Ex-Partner sie mit einer Persönlichkeitsstörung in Verbindung bringt.

Wir leben in einer Borderline-Gesellschaft. Damit meine ich dass wir von unserem Umfeld gezielt auf Borderline getrimmt werden. Wirklich enge Beziehungsmuster gibt es nicht mehr, da Eigenständigkeit immer mehr an Wert gewinnt. Die verschärfte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sorgt dafür, dass man sich mehr und mehr distanziert und einen stärkeren Egoismus entwickelt. Die Gesellschaft versucht immer mehr eine Konformität zu erreichen, in der jeder Mensch in egal welcher Situation austauschbar ist. Die Gesellschaft funktionalisiert – und das ist typisches Borderlineverhalten.

Da bei Persönlichkeitsstörungen eine große Wahrscheinlichkeit von Komorbidität (kann man am besten mit Begleiterkrankung erklären) besteht, ist eine gefestigte Diagnose schwer zu treffen. Hinzu kommt das die BPS eine noch junge anerkannte Krankheit ist, die noch einige Lücken in der Forschung aufweist. Inzwischen gibt es jedoch gerade in der medizinischen Diagnose immer bessere Möglichkeiten eine Borderline-Störung zu erkennen. Neben der sehr individuellen Begleiterscheinungen gibt es inzwischen eindeutige Haupt-Symptome die Borderline zugeschrieben werden können.

Es war für mich zuerst eine sehr erschreckende Tatsache, dass meine Individualität die ich immer glaubte zu besitzen in Wahrheit nur Muster einer Krankheit ist. Später beruhigte mich jedoch das Gefühl das andere in bestimmten Dingen genau so reagieren wie ich selbst. Ihre Lebensgeschichten glichen meinen teilweise bis ins kleinste Detail und am deutlichsten merkte ich das, wenn es um Situationen ging die den 9 Hauptkriterien nach ICD10 zugeschrieben werden.

Ich beschäftige mich nun schon einige Jahre mit der Krankheit und stelle immer mehr fest das ich auch auf diagnostizierte Borderliner treffe die mit mir absolut nichts gemeinsam haben. Ich habe mich genauer mit diesem Phänomen beschäftigt und stelle immer mehr fest, dass wir definitiv nicht an denselben Symptomen leiden.

Wie kommt es zu diesen Unterschieden? Als erstes stelle ich die Diagnose in Frage. Es kommt mir so vor als ob jeder Patient der Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung aufweist eine Borderline-Diagnose erhält. Aber selbst wenn „nur“ Borderline-Symptome diagnostiziert wurden spricht man sofort von Borderline. Werden überhaupt noch andere Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert?

Wenn man im Netz sucht, findet man unendlich viele Selbsthilfeforen oder Seiten die sich mit der BPS auseinander setzen. Andere PS wie die Histrionische PS oder Dependente PS findet man kaum. Und wer outet sich schon gern als Narzisst?

Ich habe auch immer mehr Menschen getroffen die Borderline auf ihre Weise heroisieren. Die Ihr verhalten auf diese Weise entschuldigen, oder sich auf die zugegeben vorhandenen Vorteile wie Kreativität und Empathie konzentrieren und sogar sagen, Borderliner sind die besseren Menschen. Manchmal habe ich auch das Gefühl das manche Menschen sich diese Diagnose überstülpen um zu einer ständig wachsenden Gemeinschaft zu gehören. Zugegeben, nichts verbindet mehr als sich über eine psychische Krankheit auszutauschen, doch halte ich es für gefährlich sich deswegen mit einer schwerwiegenden Krankheit zu identifizieren.

Sicher es gibt unterschiedliche Typen von Borderline die sich teilweise in der Methode unterscheiden. So gehen Betroffene sehr individuell mit ihren Symptomen um, aber wenn ich mich bei anderen Betroffenen in keinem der 9 Hauptkriterien wieder finde und nur einige der Begleiterscheinungen gleich sind, stelle ich die Diagnose in Frage. Nicht unbedingt die Diagnose der anderen, sondern meine.

Man könnte nun sagen es ist doch egal was für eine Diagnose man hat. – Aber ich sehe das sehr entschieden anders. Zum ersten würde ich gern wissen was genau mir mein Leben so schwer macht. Zum anderen halte ich es für „Sinnfrei“ mich mit einer Therapieform für Borderline zu beschäftigen wenn ich an einer Neurose leide. Die Therapieansätze sind extrem gegensätzlich und können evtl. Muster sogar verstärken.

Wie bei vielen Krankheiten macht es vielleicht Sinn sich eine zweite, unabhängige Diagnose von einem Psychologen einzuholen, der nachgewiesene Erfahrung mit Borderlinepatienten hat.

 

Was sie noch interessieren könnte:

Therapieformen für Borderline

Weitere Links zum Thema (ausserhalb von Grenzwandler.org):

Suzana Pavic: Borderline-Beratung

Dachverband Dialektisch Behaviorale Therapie e.V.

Autor: Grenzwandler

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